Sonntag, 3. April 2011

"Ich poste, also bin ich. Postability und Postmoderne."

Wir stellen vor: Konstantin Hess ist 29, hat in Leipzig und Berlin Medien- und Sozialwissenschaften studiert und tourt derzeit mit seinem Buch "Like what" durch deutsche Städte. Für Grenzkredibel nahm er sich Zeit für ein Interview, das wir in einem Café mit ihm führen durften.
Grenzkredibel: Hallo Konstantin! Zunächst einmal Herzlichen Glückwunsch zum Erfolg mit deinem Erstlingswerk! Würdest du uns kurz erklären, worum es in deinem Buch geht?
Konstantin Hess: Vielen Dank und auch Hallo! In "Like what" geht es zum einen um einen jungen Mann, Hendrik, und sein Erwachsen-Werden, zum anderen, trocken formuliert, um Soziale Netzwerke und wie diese unser alltägliches Leben verändert haben.
GK: Also ein hochaktuelles Thema.
KH: Ja. Ich denke, dass sich so viele Menschen von dem Buch angesprochen fühlen, da ich darin Dinge beschreibe, die mittlerweile zu kollektiven Erfahrungen geworden sind. Die viele Zeit, die wir im Internet verbringen, also auch Suchtverhalten, das dadurch bestärkt wird, dass alle anderen mitmachen. Dann die veränderte Kommunikation bei Chats und Mails, dass bei den Herabstufungen von Face-to-face zu Voice-to-voice zu Text-to-text bestimmte Mechanismen verloren gehen und zur Entfremdung vom Körper, dessen Bedürfnissen und Funktionen führen. Jeder von uns müsste doch mittlerweile dieses Gefühl kennen, wenn sich ein Kontakt übers Internet ergab, und man sich dort fließend über Gott und die Welt unterhielt, oder sich die hochtrabensten Liebesbekenntnisse zusendete, und diese Dinge dann beim realen Kontakt durch, ich sage mal chemische, Prozesse negiert werden. Ein weiteres Phänomen sind lose Bekanntschaften, die sich ohne die digitale Verbindung längst in Luft aufgelöst hätten, was meiner Meinung nach nicht das schlechteste sein muss. Dann die Selbstdarstellung, die natürlich auch im realen Leben stattfindet, aber mit dem Internet ein ganz neues, forderndes Ventil bekommt. Das eigene Profilbild zum Beispiel ist ein künstlerisches Projekt, an dem man sich dumm und dämlich arbeiten kann, und man wird garnicht gefragt, ob man Künstler sein will. Manchmal schießt man auch übers Ziel hinaus und es entsteht unfreiwillige Komik. Wenn man mal genau hinhört, hört man, wie das Internet ständig fragt: "Wer bist du?"
GK: Und, Konstantin, wer bist du?
KH: Genau, eigentlich wird man das auch im realen Leben ständig gefragt, auch wenn man oft denken könnte, diese Frage komme von innen. Wir sind ja nicht mehr nur das, was unsere Gene aus uns machen, mit unserer Kultur ist alles komplizierter geworden. Die Identitätskrisen unserer westlichen Welt sind zwar Luxusprobleme, aber ich glaube, nicht wenige Menschen haben aus diesem Grund mit Depressionen zu kämpfen.
GK: Ein Schicksal, das deinem Protagonisten Hendrik beschert ist.
KH: Für Hendrik ist das Internet ja sogar eine Chance, seine Identitätsprobleme zu lösen. Als Jugendlicher ist er da natürlich in der heißen, kritischen Phase. Die Möglichkeit, sich auszuprobieren und die Reaktionen, die er von anderen Usern bekommt, helfen ihm zunächst. Auch wenn er sich immer wieder in unmögliche Situationen manövriert.
GK: Hendrik vergrault durch seinen Internet-Auftritt ein Mädchen, gerät in unmögliche Dates, Nacktfotos von ihm geraten in Umlauf und er wird das Opfer von Cyber Mobbing.
KH: Und diverse andere Katastrophen und Verirrungen. Sein wirkliches Problem ist aber schlussendlich, dass er den Absprung nicht schafft. Und so geht es uns allen, die wir in Sozialen Netzen hängen. Wir sind Identitätsspieler, die nicht erwachsen werden wollen.
GK: In deinem Fall ist es doch so, dass du deine Accounts vor etwa anderthalb Jahren gelöscht hast. Bist du nun erwachsen?
KH: Ich habe das damals gemacht, um mich ganz aufs Schreiben des Buches konzentrieren zu können. Die Ausrede, das alles als Research zu nutzen, galt dann nicht mehr. Das große Echo, das ich auf meinen Ausstieg bekam, hat mich übrigens ziemlich überrascht und erschrocken und ich habe mich gefragt, warum das nicht viel mehr Leute machen. Seit das Buch jedoch fertig ist, merke ich, wie der Entzug an mir zehrt. Ich kriege ja durch Freunde mit, was so los ist bei Facebook usw. und fühle mich dann selbstverständlich auch mal ausgeschlossen. Um wirklich davon wegzukommen, müsste ich wohl den realen Kontakt zu allen Freunden abbrechen, die Soziale Netzwerke nutzen. Ein paar blieben da schon übrig, aber so ein Plan klingt dennoch ziemlich albern.
GK: Eine sehr gute Freundin von mir sagte mal, es sei schwer von einer Droge wegzukommen, die alle deine Freunde nehmen.
KH: Kann ich nur unterschreiben. Und der Rückfall wird kommen, ich weiß das.
GK: Du hast dich entschieden, kein Sachbuch über das Thema zu schreiben, sondern alles in die Geschichte um Hendrik zu verpacken. Warum?
KH: Es gibt ja mittlerweile schon viel Literatur zum Thema, aber mir war das alles zu weit weg davon, wie es uns dabei geht. Es sollte ja auch Spaß machen, mein Buch zu lesen.
GK: Das macht es allerdings. Hätte dein Buch als Sachbuch vielleicht 'Ich poste, also bin ich. Postability und Postmoderne.' geheißen?
KH: Um Gottes Willen. Das klingt ja auch ziemlich postable. Bei dem Titel habe ich mich tatsächlich ziemlich schwer getan. Schließlich habe ich etwas unverfängliches genommen, das nicht zu viel verrät.
GK: Dein Buch sollte kein Tocotronic Song werden?
KH: Ich erahne gerade nur, was du meinst, aber sage mal: Ja. Jedenfalls äußert sich in meiner Unfähigkeit, einen prägnanten Titel auszusuchen ein Stück weit auch mein ständiger Wunsch nach Nicht-Festgelegt-Sein, nach Zerstreuung und Verklärung, was zuletzt meine Methode ausgemacht hat, mich vom Sozialen Netzwerk zu distanzieren. Ich habe versucht, so wenig von mir wie möglich hineinzustecken, aber dennoch konnte ich mich zum Beispiel schlecht zurückhalten, wenn etwas politisches diskutiert wurde. Man will ja auch nicht unpolitisch sein.
GK: Und glaubst du die Dinge sind allgemeingültig, oder kannst du dir auch vorstellen, dass die Probleme, die du mit Sozialen Netzwerken hast, vielleicht auch an dir selbst liegen?
KH: Definitiv! Viele sind in der Lage, viel lockerer mit Sozialen Netzwerken umzugehen, weil sie einfach gefestigter sind als jetzt zum Beispiel Ich. Andere aber akzeptieren völlig blind ihre Integration ins Netz, und die möchte ich dann wachrütteln. Narzissmus spielt auch oft eine Rolle.
GK: Die klassische Frage: Zu wieviel Prozent ist das Buch autobiographisch?
KH: Auf jeden Fall autobiographischer als das, was ich sonst im Internet von mir gab. Im Endeffekt habe ich doch recht viel über mich Preis gegeben, aber in Form eines Buches ist das schon okay.
GK: Eine Frage quasi in eigener Sache: Was denkst du übers Bloggen?
KH: Ein Blog schreiben finde ich prinzipiell in Ordnung, wobei man sich als Leser auch mal schnell in all den Verlinkungen und neuen Posts verlieren kann. Ein guter Zeitverschleiß. Prinzipiell funktioniert es da genauso wie ein Soziales Netzwerk, nur mit bedeutend mehr Inhalt und sozial distanzierter. Ich für meinen Teil hätte meine Vorbehalte, selbst ein Blog zu führen, nicht bloß weil ich Angst hätte, dem Leser gerecht werden zu wollen und viel und schnell auf Kosten von Inhalt oder Relevanz zu posten, also zum Leser ein Verhältnis wie damals zu den Facebook-Freunden aufzubauen. Sondern auch weil meine blanken Überlegungen unverpackt, also non-fiktional, wohl etwas zu plakativ, vielleicht auch zu postable wirken würden. Wenn ich wirklich etwas aussagen wollte, würde ich wie gesagt zu irgend einem Mittel der Verfremdung oder Verklärung greifen.
GK: Vielen Dank für das Gespräch!